Adriaan_Moelker
© BRAIN AG
2. September 2020

Die Balance finden

Vor einem halben Jahr hat Adriaan Moelker den Vorstandsvorsitz und damit die Führung der BRAIN AG übernommen. Im Interview mit News & Views berichtet er von den ersten Eindrücken, seinen Zielen, dem laufenden Transformationsprozess und der künftigen Positionierung der BRAIN AG auf dem Kapitalmarkt.

Herr Moelker, was hat Sie daran gereizt CEO bei BRAIN zu werden?

Innovationsgetriebene Unternehmen haben mich schon immer fasziniert – und die zukunftsorientierte Biotech-Branche ganz besonders. Ich war über 20 Jahre lang in der industriellen Biotechnologie tätig, immer mit dem Fokus auf Enzymen. Dann habe ich für sechs Jahre die Branche gewechselt, um zu sehen, ob die Biotechnologie alles ist. Es stellte sich heraus: „Biotech“ ist für mich tatsächlich mein Zuhause. Nach diesen Jahren in einer anderen Branche bei BRAIN einzusteigen, war für mich also eine Art „heimkehren“.

BRAIN hat sich als Biotech-Pionier in der Branche einen exzellenten Ruf als forschungsgetriebenes, kreatives Unternehmens aufgebaut. Kunden und Kooperationspartner schätzen das Unternehmen; und über die Mitarbeitenden heißt es in der Branche, mit ihnen sei die Zusammenarbeit menschlich sehr angenehm. Ein nicht zu unterschätzender Punkt.

Können Sie das nach ihren ersten eigenen Erfahrungen bestätigen?

Ja, das kann ich. Der Empfang hier war sehr herzlich und offen. Ich kann bestätigen, dass BRAIN eine Firma ist, in der sich mit Freude arbeiten lässt auch wenn wir natürlich großen Herausforderungen gegenüberstehen. Aber die Leute hier sind sehr motiviert und kooperativ und gemeinsam werden wir die Herausforderungen stemmen.

Welche Herausforderungen meinen Sie genau?

BRAIN hat für seine Partner viele technische Durchbrüche erzielt, das Unternehmen hat jedoch noch nie Gewinne erwirtschaftet. Seit dem Börsengang im Jahr 2016 wollen unsere Aktionäre verständlicherweise weiteres Umsatzwachstum sehen – dann den Break-even und schließlich ein profitables Geschäft. Daher müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren profitabel zu werden, und gleichzeitig müssen wir innovativ bleiben und unseren Kunden und Partnern bahnbrechende Erfolge liefern. Das beinhaltet den Aufbau eines profitablen Produktgeschäfts.

Heißt das, dass BRAIN sich jetzt nur noch auf die Vermarktung dieser Produkte konzentriert?

Nein, das heißt es nicht. Ein Technologieunternehmen wie BRAIN lebt davon, dass es Neues entwickelt – das wird sich nicht ändern. In den letzten Jahren haben wir uns von einem reinen Technologie-Dienstleister hin zu einem technologiegetriebenen Produktanbieter entwickelt. Eine Transformation, die schon mein Vorgänger angestoßen hat. Ich sehe das als einen natürlichen Schritt in der Entwicklung des Unternehmens.

Was soll also anders werden?

Die Stärken der BRAIN, die breit gefächerte technologische Kompetenz, die Flexibilität, Agilität und Schnelligkeit, kamen bislang der Entwicklung kundenspezifischer Lösungen zugute. Nun werden wir diese Stärken vermehrt auch für die eigene Produktentwicklung und -vermarktung nutzen. Neben der Konzentration auf unser Produktgeschäft müssen wir aber auch eine Balance finden zwischen kurz-, mittel- und langfristig angelegten F&E-Projekten, denn sie sind die Basis für unsere nächsten biobasierten Produkte bzw. Lösungen. Daher sind wir gerade dabei unser Produkt-Portfolio zu überarbeiten.

Inwiefern überarbeiten?

Meine Aufgabe ist es, das Unternehmen dahin zu bringen, dass Projekte möglichst schnell realisiert werden, der Umsatz steigt und die Investitionen sich auszahlen. Dazu gehört leider auch, dass das eine oder andere Projekt gestoppt wird oder pausieren muss, auch wenn es aus wissenschaftlicher Sicht hochspannend ist.

Stichwort Umsatzsteigerung: Womit verdient BRAIN momentan Geld?

Wir unterscheiden bei BRAIN zwischen dem Produktgeschäft und dem sogenannten Tailor-Made-Solutions-(TMS) Geschäft. Beide sind heute profitabel. Im TMS-Geschäft bezahlt der Kunde die Entwicklung eines Produkts oder einer Lösung. Im Produktgeschäft verkaufen wir z.B. Enzym-Produkte – entweder von der Stange, weil es sie schon für andere Anwendungen gibt – oder neu entwickelt, wenn die Anforderungen so speziell sind, dass vorhandene Enzyme nicht passen. Die Entwicklungskosten holen wir uns dann über die Marge beim Verkauf wieder zurück. Dann gibt es noch die Partnerprojekte: Bei manchen von ihnen treten wir für die F&E-Leistungen in Vorlage, andere begleiten wir mit unseren F&E-Leistungen über die komplette Projektdauer. In beiden Fällen erhalten wir später Lizenzgebühren.

Wir sind übrigens sehr flexibel, was die Bezahlmodelle angeht: angefangen bei Vorauszahlungen, über Meilensteinzahlungen bis hin zu Linzenzeinnahmen oder einer Umsatzbeteiligung ist alles möglich und hängt vom jeweiligen Projekt und den zugehörigen Verhandlungen ab.

Trotzdem hat die BRAIN AG momentan ein negatives Ergebnis. Warum?

Als technologiegetriebenes Unternehmen investieren wir immer wieder einen erheblichen Teil der Einnahmen in die Entwicklung neuer Produkte und Lösungen. Nur so können wir Kunden und Projektpartnern disruptive neue Lösungen anbieten. Um diese F&E-Aktivitäten im Unternehmen weiterhin finanzieren zu können, wollen wir generell unsere Aktivitäten künftig stärker monetarisieren.

Gibt es neben dem Ziel Gewinne zu erwirtschaften, weitere Ziele, die Sie sich auf die Fahne geschrieben haben?

Natürlich soll der Aktienkurs besser werden. Wir wollen die Aktie außerdem für mehr Investoren attraktiv machen, indem wir uns als nachhaltiges und soziales Unternehmen im ESG-Umfeld positionieren.

Sehr wichtig sind für mich unsere Mitarbeitenden. Mir liegt sehr viel daran, deren Fähigkeiten weiterzuentwickeln und dafür zu sorgen, dass wir eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung haben. Alle diese Prioritäten werden durch unsere Grundwerte untermauert, zu denen gehören Verantwortungsbewusstsein, Innovation und Kreativität sowie Integrität, um nur einige zu nennen. Ich habe die Rolle der Personalabteilung im Hinblick auf diese Themen neu ausgerichtet.

Was bedeutet ESG und wie genau sieht die Positionierung in dem ESG-Umfeld aus?

ESG steht für „Environment“, „Social“ und „Governance“ und der ESG-Ansatz hat sich in der Finanzbranche inzwischen zur Abgrenzung nachhaltiger Geldanlagen als wichtiger Standard entwickelt. ESG-Investments sind Geldanlagen, die neben den wirtschaftlichen Anlagezielen auch ethische bzw. nachhaltige Wertvorstellungen von Anlegern berücksichtigen. Die Produkte und Lösungen, die wir auf der Basis unserer natürlichen Ressourcen entwickeln – unsere Mikroorganismen, Enzyme und naturbasierten bioaktiven Substanzen – tragen auf viele Arten zu mehr Nachhaltigkeit bei. So unterstützen wir z.B. unsere Kunden dabei ihre industriellen Prozesse umweltfreundlicher zu gestalten und so die UN-Nachhaltigkeitsziele besser zu erreichen. Das trägt übrigens auch zu meiner eigenen Motivation und der Motivation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei BRAIN bei: sich für Lösungen und Produkte zu engagieren, die die Gesundheit fördern können oder zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.

Abgesehen von dem Aspekt der Nachhaltigkeit: Gibt es weitere Argumente, die dafür sprechen Aktionär von BRAIN zu werden?

Die verschiedenen Geschäftsmodelle machen die Brain AG attraktiv für Aktionäre, denn sie erwerben entsprechend ein breit gefächertes Biotechnologie-Portfolio: mehrere Technologieplattformen, maßgeschneiderte Lösungen („Tailor made solutions“, TMS), eigene Forschung und ein Produktgeschäft. Das unterscheidet uns von vielen anderen Biotech-Unternehmen. Bei BRAIN haben wir mehrere Wachstumsbereiche, so streuen wir das Risiko.

Ihre Aktionäre müssen trotzdem – wie bei anderen Biotech-Unternehmen auch – viel Geduld zeigen. Warum dauert es generell so lange, bis ein biotechnologisches Produkt „fertig“ ist?

In unserer Branche ist es typisch Entwicklungszyklen von fünf bis 15 Jahren zu haben. Angefangen bei der Entdeckung über die Optimierung bis hin zum Scale-up und zur Formulierung, eventuell eine Anmeldung, und dann die Kommerzialisierung – da vergeht viel Zeit. Bei allen diesen Schritten können Dinge schiefgehen, so dass man wieder ans „Zeichenbrett“ zurückkehren muss. Der Schlüssel zum Erfolg ist ein ausgewogenes Portfolio von Projekten und eine methodische Auswahl der vorrangigen Projekte. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit wichtigen Partnern ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor. Darauf werden wir uns in den kommenden Monaten und Jahren konzentrieren.

Was macht BRAIN in Ihren Augen einzigartig?

Das sind vor allem diese drei Dinge: Unser BioArchiv, also unsere einzigartige und umfassende Sammlung von Mikroorganismen, Enzymen, Naturstoffen und den zugehörigen molekularbiologischen Daten; außerdem das breite Spektrum der biotechnologischen Methoden, die unsere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bzw. unsere Laboranten und Laborantinnen beherrschen, und das geschickt mit den Bioarchiv-Ressourcen kombiniert wird; nicht zuletzt haben die Flexibilität, die Kreativität und die Agilität der Kollegen und Kolleginnen hier im Haus einen großen Anteil an der Unternehmensentwicklung.

Vielen Dank, Herr Moelker.

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