26. April 2021

Biomasse: Dreh- und Angelpunkt der Bioökonomie

Was fällt alles unter den Begriff „Biomasse“ und was ist eigentlich mit „funktioneller Biomasse“ gemeint? Wir klären auf.

Hin und wieder werden wir gefragt, mit welcher Art Biomasse wir als Unternehmen der industriellen Biotechnologie arbeiten bzw. wie wir diese Biomasse verwerten. Die Antwort darauf lautet: BRAIN Biotech ist selbst kein Biomasse-Verwerter, sondern ein sogenannter „Enabler“ für diejenigen Unternehmen, die ihre Rest- oder Nebenströme einer weiteren sinnvollen Verwertung zuführen wollen. So fällt zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie bei der Verarbeitung von Obst oder Gemüse Biomüll im großen Maßstab an, der zu wertvoll ist, um ihn nur zu kompostieren oder gar ohne weitere Nutzung zu entsorgen. Als Technologie-Anbieter offerieren wir Lösungen, um solche Biomasse z.B. mit Hilfe von Enzymen aufzuschließen und ihr im Fermentationsprozess wertvolle Substanzen für nachfolgende Anwendungen zu „entlocken“. Warum wir bei BRAIN Biotech den Begriff „Biomasse“ dennoch verwenden, jedoch in einem etwas anderen Zusammenhang, darüber wird im Folgenden zu lesen sein.

Biomasse – von Kleinstlebewesen bis hin zum nachwachsenden Rohstoff

Biomasse ist per Definition lebende und wachsende oder auch abgestorbene Masse, die aus biologischer, jedoch nicht aus fossiler Materie besteht. Pflanzliche Biomasse, die in der Bioökonomie eine zentrale Rolle einnimmt, besteht entsprechend aus der Gesamtheit der lebenden Pflanzen und Algen sowie dem daraus resultierenden toten Material. Ein Blick zurück in die Wissenschaft spiegelt wider, wie sich die Bedeutung des Begriffs Biomasse über die Jahre verändert hat.

Die frühesten wissenschaftlichen Publikationen, die das Internet zum Begriff „Biomasse“ ausspuckt, stammen aus den 1930er Jahren. Sie beziehen sich z.B. auf die Quantifizierung von Krebstieren in einem bestimmten Ökosystem oder auf die Quantifizierung von Larven-Biomasse der Aasfliege Phormia groenlandica in Laborversuchen zur Nahrungsmittelkonkurrenz.

In Publikationen russischer Wissenschaftler aus den 1950er Jahren war Biomasse häufig gleichgesetzt mit Mikroorganismen – und wurde daher u.a. auch als „bakterielle Masse“ bezeichnet. Beschrieben wurden sehr grundlegende Beobachtungen: z.B. wie sich die Biomasse von Bakterien, Pilzen oder Plankton in ihrer Menge in Abhängigkeit von der Jahreszeit in verschiedenen Gewässern veränderte. Mit Biomasse waren damals in erster Linie Kleinstlebewesen gemeint.

Mitte der 1960er Jahre wurde Organismen-Biomasse z.B. als Maß herangezogen, um Störungen in natürlichen Nahrungsketten zu demonstrieren.

Biomasse als Energieträger ist begrenzt

Seit den 1970er Jahren rückte die pflanzliche Biomasse mehr und mehr in das Interesse der angewandten Forschung: zum einen aufgrund der Erforschung und Entwicklung von Düngemitteln; zum anderen wegen der Erdölkrise. Diese bewirkte nämlich, dass Industriealkohol, der damals synthetisch aus Erdölrohstoffen (Gas und Öl) hergestellt wurde, plötzlich zu teuer wurde. Man besann sich daher auf die natürlichen Prozesse der Fermentation und auf die Erfahrung, dass sich aus Getreidekörnern und zellulosehaltigen Rohstoffen in einer Fermentation ein in Qualität und Leistung gleichwertiger Ethylalkohol herstellen lässt – der sogenannte Bioethanol.

Da der biologisch hergestellte Alkohol auch als Beimischung zu Kraftstoffen eingesetzt werden sollte und vor allem in den USA enorme Mengen davon benötigt wurden, war wichtig ihn im großen Maßstab und wirtschaftlich wettbewerbsfähig herstellen zu können. Der Begriff „Biomasse“ als Ausgangsstoff war damit neu geprägt – ein unbegrenzter Rohstoff zur Bereitstellung von Energie; anfangs in Form von Alkohol, später auch in Form von Biogas.

Bekanntermaßen währte die Freude über die neue Art von Energiequelle nicht lange: In den 2000er Jahren entbrannte die „Teller-oder-Tank-Debatte“, denn: Was als pflanzliche Biomasse in den Tank kam oder kommt, fehlt entsprechend als Lebens- oder Futtermittel – und mit Augenmerk auf ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum war nicht nur die Flächenfrage ein Diskussionsthema, sondern auch die einhergehende Zunahme von umweltschädlichen Monokulturen.

Inzwischen wissen wir: Biomasse, die zur Bereitstellung von Energie zur Verfügung steht, ist begrenzt. Sie sollte entsprechend nur zielgerichtet zum Einsatz kommen, z.B. um Stoffkreisläufe oder Versorgungslücken in einem nachhaltigen Energiesystem zu schließen (Thrän 2020).

Trotz der Begrenzung: Biomasse wird heute als wichtigste Säule im Konzept der Bioökonomie gesehen (Sherwood 2020). Um die Nachhaltigkeit in der Wirtschaft zu erhöhen, wird inzwischen stärker auf Reststoffe zurückgegriffen, u.a. aus der Land- und Forstwirtschaft, der Fischerei oder aus Gartenbaubetrieben. Sie stehen meist nicht in Konkurrenz zur Nahrungs- bzw. Futtermittelproduktion und sind daher ideal für eine weitere Verwertung.

Häufig unerkannt: Potenzial von Biomasse für die stoffliche Nutzung

In der Industrie fehlt es häufig an biologischem Wissen, um Substitutionspotenziale und Wertschöpfungspotenziale in den Stoffströmen zu erkennen (Thrän 2020). Auch wenn industrielle Reststoffe bereits genutzt werden, besteht häufig noch weiteres Potenzial zu einer höherwertigeren und/ oder effizienteren Nutzung im Sinne der Bioökonomie. Potenziale für eine stoffliche Verwertung liegen nach Ansicht von Experten durchaus auch in biogenen Reststoffen bzw. in der Biomasse aus der Holz- und Landwirtschaft (Schüch und Hennig 2020).

Nahrungsmittel der Zukunft?

Eine andere Form der Biomassenutzung ist die Nutzung als Nahrungsmittel. Mikroalgen z.B., reich an Proteinen, Omega-Fettsäuren und Vitaminen und kultiviert in nachhaltigen Aquasystemen, könnten künftig als Rohstofflieferant eine wichtige Rolle in unserer Ernährung spielen. (KIT Campusreport 2017, 10.5445/DIVA/2017-494). Auf Mikroalgen basiertes Fischfutter könnte die Fischproduktion in Aquakulturen nachhaltiger gestalten.

Komplett synthetische Biomasse sieht ein finnisches Unternehmen als Zukunftsmodell: Solar Foods produziert im Rahmen eines Fermentationsprozesses sogenanntes Single-Cell-Protein, also Protein, das von einzelnen Zellen stammt statt von komplexen Organismen, und benötigt dafür lediglich Strom, Wasser aus der Luft, CO2 und ein paar Nährstoffe. Weder landwirtschaftliche Fläche noch Aquakulturen noch Tierhaltung sind notwendig – die Proteinproduktion der Zukunft?

Mikroorganismen als „funktionelle Biomasse“

Zum Schluss zu derjenigen Biomasse, die unsere Kolleginnen und Kollegen bei BRAIN Biotech für spezielle Zwecke entwickeln: Hier handelt es sich um sogenannte „funktionelle Biomasse“. Sie bezeichnet Mikroorganismen, die im Rahmen von Fermentationsprozessen bestimmte Funktionen erfüllen und entsprechend zuvor „trainiert“ wurden. So können sie z.B. Substanzen produzieren, die als bioaktive Inhaltsstoffe in Nahrungs- oder Futtermitteln genutzt werden. Oder sie binden Edelmetalle und helfen diese nachhaltig zu extrahieren. Oder sie dienen dazu aus dem Ausgangsstoff CO2 biobasierte Chemieprodukte bzw. deren Bausteine herzustellen.

Fazit: Mikrobielle funktionelle Biomasse ist nicht gleichzusetzen mit der pflanzlichen Biomasse, die in der zirkulären Wertschöpfung als Roh- oder Reststoff verwendet und in einem Umwandlungsprozess einer neuen Verwertung zugeführt werden kann. Extrem wertvoll sind beide Arten – jede auf ihr Weise.

Referenzen:

Egbert G, Leigh Jr. On the relation between the porductivity, biomass, diversity, and stability of a community. Zoology Vol 53, 1965 https://www.pnas.org/content/53/4/777

Miller DL. Fermentation ethyl alcohol. Biotechnol Bioeng Symp. 1976;(6):307-12. PMID: 1000074

Thrän D. Einführung in das System Bioökonomie. In: Thrän D, Moesenfechtel U. (Hrsg.) Das System Bioökonomie. Springer Spektrum 2020

Schüch A und Hennig C: Abfall- und reststoffbasierte Bioökonomie. In: Thrän D, Moesenfechtel U. (Hrsg.) Das System Bioökonomie. Springer Spektrum 2020

Sherwood J. The significance of biomass in a circular economy. Bioresour Technol. 2020 Mar;300:122755. doi: 10.1016/j.biortech.2020.122755. Epub 2020 Jan 9. PMID: 31956060

Smirnov E. S. et al.: The Accumulation of the Biomass in the Carrion Fly Phormia groenlandica. Medical Parasitology 1934 Vol.3 No.5 pp.401-402 pp. https://www.cabdirect.org/cabdirect/abstract/19351000268

In a Nutshell:

  • Ab Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichneten Wissenschaftler die Menge von Mikroorganismen und Kleinstlebewesen in einem bestimmten Biotop oder in einer Nahrungskette als Biomasse.
  • Die Erdölkrise in den 1970er Jahren war Auslöser dafür, dass Biomasse eine neue Bedeutung erlangte und heute als Ersatz für fossile Rohstoffe erprobt und eingesetzt wird.
  • Inzwischen ist erklärtes Ziel der zirkulären Bioökonomie Biomasse maximal zu nutzen und zu verwerten, primär solche, die als Rest- oder Abfallstoff anfällt. Solche organischen Rest- oder Abfallstoffe können durch die weitere Nutzung eine höhere Werthaltigkeit erfahren. Ihre Rückführung in die Wirtschaft entspricht dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft bzw. der zirkulären Wertschöpfung.
  • Biomasse wird heute schon vielfältig verwertet: Mit Hilfe biotechnologischer Verfahren wird Biomasse in Chemikalien, Produkte, Energie oder in Wärme umgewandelt und Zwischenprodukte innerhalb des Umwandlungsprozesses können wiederum selbst zu einem Ausgangsstoff werden.
  • Potenziale erkennen: Zur Förderung der kreislauffähigen, biobasierten Wirtschaft müssen weitere Arten von Biomasse genutzt werden. Die erfahrenen Biotechnolog:innen und Ingenieur:innen von BRAIN Biotech können dazu beitragen entsprechende Substitutions- und Wertschöpfungspotenziale in bestehenden Stoffströmen zu erkennen.
  • Unter „funktioneller Biomasse“ versteht die Biotechnologie Mikroorganismen, die „trainiert“ und als Zell-Masse im Fermentationsverfahren eingesetzt werden, z.B. um:
    a) spezielle Enzyme oder Substanzen zu produzieren;
    b) pflanzliche Reststoffe zu prozessieren;
    c) Metalle zu binden und deren Extraktion zu ermöglichen (Green Mining);
    d) Sporen zu generieren, die als Probiotika zum Einsatz kommen;
    e) Phosphat zu akkumulieren und zur nachhaltigeren Düngung beizutragen.

Unser Angebot

An welchen Stellen in einem industriellen Prozess Substitutions- oder Wertschöpfungspotenzial besteht, kann im Gespräch mit unseren Expertinnen und Experten eruiert werden.

  • Wir finden und optimieren Enzyme, Mikroorganismen und bioaktive Substanzen und bringen sie in technischen Anwendungen zum Einsatz.
  • Wir generieren eine zusätzliche Wertschöpfung für bestehende Produkte.
  • Wir entwickeln Lösungen für die nachhaltige Verwertung von Biomasse aus Nebenströmen.
  • Mit unserer jahrelangen Erfahrung beraten wir zu Substitutionspotenzialen in unterschiedlichen industriellen Prozessen und Anwendungen.


Weitere Infos erteilt Ihnen gerne:

Dr. Martin Langer
business@brain-biotech.com
+49 6251 9331 0

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